Halb voll oder halb leer?
Eigentlich gehöre ich ja eher zu den Optimisten, also zu den Menschen, die auf das schauen, was schon geschafft ist, und auf das, was noch möglich ist. Eigentlich.
Eigentlich will ich mich nicht demotivieren lassen, eigentlich könnte ich Ihnen und Euch so etwas sagen wie: „Schau auf das, was möglich ist, nicht auf das, was gerade nicht geht!“ „Denk an all das, wofür du schon im Leben Kraft gehabt hast – du kannst es wieder schaffen!“ „Schau auf die Strecke, die schon hinter dir liegt, da ist die Strecke vor dir doch ein Klacks!“ – Eigentlich glaube ich, dass wir als Christinnen und Christen immer noch Grund zur Zuversicht haben. Eigentlich ist bei mir das Glas meistens halb voll, nicht halb leer.
In dieser Zeit ist das nicht ganz so einfach, sich so zu motivieren. ES braucht zurzeit einen langen Atem, Geduld und die Energie eines Stehaufmenschleins…
Gerade haben wir erfahren, dass es auch in diesem Jahr keine Gottesdienste in der Kirche zur Karwoche und Ostern geben soll. Gerade haben wir noch einen Notstopp verordnet bekommen. Gerade ist der Urlaub an der Nordsee endgültig unmöglich geworden.
Ist trotzdem das Glas halbvoll?
Ich schaue auf das, was es füllt.
- Ich freue mich auf entspannte Tage zu zweit ohne HomeOffice, ohne Pflichten – dann eben zuhause. Und mit dem Rad kann ich hier auch schöne Ausflüge machen.
- Ich freue mich auf sonnigere Zeiten, auf Blumenpracht und bunte Eier.
- Ich freue mich auf … (Sie haben sicher vieles zu ergänzen!)
- Ich lasse mich ein auf diese Wochen des neuerlichen Verzichts – in Gedenken an Jesus, der auf seine Macht verzichtet, in Gedenken an die Menschen, deren Lebenssituation jetzt gerade viel bedrängender ist, in Gedenken an die Menschen, die schon dem Virus zum Opfer fielen. Verzicht kann Liebe ausdrücken. Darum füllt auch er das Glas.
- Ich glaube an einen Gott, der selbst beim Tod nicht denkt: jetzt alles aus.
Ostern kommt und bringt neue Hoffnung auf Leben. Grundsätzlich.
Ist das Glas wirklich nur halb voll?
Wir müssen uns gegenseitig motivieren. Immer wieder neu.
Und können auf das in unserem Glauben schauen, was motiviert. Hier ein Bibelwort aus dem
1. Samuel 7,12:
„Bis hierher hat uns Gott geholfen!“
Ihre Pfarrerin Claudia Bitter
Dazu eine Geschichte von Grudrun Pausewang aus einer lange zurückliegenden Zeit, die mir schon oft Mut zum Optimismus gemacht hat:
Noch oder schon
Ein Sportflugzeug muss in der Wüste notlanden. Die beiden Insassen versuchen sich zur nächsten Oase durchzuschlagen. Nachdem sie stundenlang gewandert sind, seufzt der eine: „O Gott – noch Dreiviertel des Weges haben wir vor uns!“
Der andere wischt sich den Sandstaub vom Gesicht und ruft froh: „Wir kommen gut voran – schon ein Viertel der Strecke haben wir hinter uns!“
Aus Gudrun Pausewang, „Ich gebe nicht auf“ Offenbach 1996