Uns sind innerhalb von 10 Tagen Katz und Kater gestorben. Beim Kater waren wir vorbereitet, bei der Katze nicht. Wir sind traurig über diesen Verlust, auch wenn es ja keine Menschen sind. Aber zur Familie gehörten sie schon. Ganz fremd war uns plötzlich unser Zuhause. Es tut im Herzen weh, sie nicht mehr um sich zu haben, zu versorgen, ihr Vertrauen zu spüren. Zunächst wollten wir das aushalten, wollten die Katzen nicht einfach so austauschen, wollten Urlaub abwarten, oder wenigstens die Frühjahrszeit, wenn wieder Kitten geboren werden und dann irgendwann unser Zuhause als neues Revier brauchen.
Aber eine Freundin kannte im Katzenschutz Engagierte – und es kam, wie es kommen musste – Katz und Kater, 5 Monate alt – Bruder und Schwester, sind gestern bei uns eingezogen. Jetzt hocken Sie in der hintersten Ecke einer Höhle, ganz dicht beieinander und rühren sich nicht. Nur vier große Augen starren uns an. Vor einem Monat kannten sie noch keine Menschen. Und auf einmal haben sie bei uns ein neues Zuhause. Kein Wunder, dass sie bibbern vor Angst. Sie wissen ja nicht, dass wir fried- und katzenliebende Menschen sind.
Wir wollen sie vertraut machen, sie zähmen.
Denn ich muss an die Geschichte vom kleinen Prinzen und dem Fuchs denken. Kennen Sie die? Antoine de Saint-Exupéry hat sie kurz nach dem zweiten Weltkrieg geschrieben. Sie entführt in eine fantastische Welt. Ein Pilot lernt in der Wüste nach einer Bruchlandung einen kleinen Prinzen von einem fernen Planeten kennen. Auch der Fuchs gehört in die Welt des kleinen Prinzen. Er führt den Prinzen in die Kunst ein, das Fremde zu zähmen und so zum Freund zu machen.
Der Fuchs sagt zum Prinzen:
„Man kennt nur die Dinge, die man zähmt … Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!“
„Was muss ich da tun?“ sagte der kleine Prinz.
„Du musst sehr geduldig sein“, antwortete der Fuchs. „Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus den Augenwinkeln anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen können…“
Am nächsten Morgen kam der kleine Prinz zurück.
„Es wäre besser gewesen, du wärst zur selben Stunde wieder gekommen“, sagte der Fuchs. „Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittags kommst, kann ich um drei Uhr anfangen glücklich zu sein…“
Ob mich diese Geschichte von dem Prinzen und dem Fuchs auf das Zähmen der beiden kleinen Katzen vorbereitet hat? Geduldig sein, berechenbar sein, immer wiederkehren, Missverständnisse vermeiden, so viel Abstand wie nötig wahren, so viel Nähe wie möglich suchen, Zeit geben – wir sind gerade dabei. Ein wenig Sehnsucht schwingt bei uns mit – nach der Vertrautheit, die wir kennen, danach das Fremdsein zu überwinden. Spannung und Neugier liegen in der Luft – was sie wohl mitbringen die neuen getigerten Mitbewohner, wie sie wohl sind, wenn sie ihre Scheu überwinden, was sie wohl an sich haben, das sie von allen Katzen und Katern zuvor unterscheidet?
Von dem Fuchs stammt auch der Satz: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ So wollen wir neugierig mit dem Herzen sein, wollen die kleinen Katzenwesen in unser Herz schließen und das Unsichtbare an ihnen entdecken. Und hoffen, dass sie schon um drei Uhr glücklich sind, weil wir um vier Uhr kommen. Denn warten können sie, die Katzen. Irgendwie ahnen sie immer, wann ihre Menschen kommen.
Ich denke, wenn wir mit dem Herzen sehen, können wir das Verbindende auch im Fremden entdecken. – Wie gesagt: Ich bin neugierig und gespannt.
„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an“ heißt es im 1. Samuel 16,7 – auch diese Einsicht des Glaubens erzählt vom Kennenlernen und Vertrautwerden. Ob das ein göttlicher Funke in uns ist – dass wir das Fremde vertraut machen und mit dem Herzen sehen können?
Ihre Claudia Bitter