Schafe in der Ruhraue

Ob eins von den Schafen wohl denkt: Alles kein Problem! Mein Schäfer kennt sich aus – mir wird nichts mangeln?
Und ein anderes: Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser? Was soll mir fehlen?
Und das dritte: Manchmal mache ich Sprünge vor Freude – er erquicket meine Seele?
Wahrscheinlich nicht. Vielleicht denken Schafe nicht so. Auch wird sich keins an finstere Täler erinnern, durch die sie als Herde durchmussten. Sie fürchten kein Unglück – aber das ist Instinkt. Vielleicht haben sie kein Gedächtnis für Sorgen und so.
Ihr Gedächtnis funktioniert vielleicht anders. Bei den großen Lämmern z.B. trägt das „Mäh“ der eigenen Mutter immer noch eine Erinnerung in sich an deren Fürsorge, an die Milch, die man saugen kann. „Ich bin da! Wo bist du?“, scheint das „Mäh!“ auch noch den Halbstarken zu sagen. Und die antworten.
Ich stelle mir vor, dass die Schafe nicht wissen, dass in unserem Buch der Bücher, in der Bibel, ihr Leben und ihre Beziehung zu dem Schäfer, dem Hirten immer wieder als Beispiel herausgeholt wird für die menschliche Beziehung zu Gott.
Beim Psalm vom guten Hirten z.B.. Der Beter (oder die Beter*in) hat die Perspektive von außen und denkt sich: Schaf müsste man sein. Dann wäre da einer verantwortlich für mich und ich machte mir keine Sorgen, ob der Weg richtig ist, ob ich ankomme, ob ich alles habe, was ich brauche, wie ich im Dunkeln weiterkomme, wie es weitergeht, wenn ich so einen schrecklichen Weg gehen muss.
Und dann – für mich ist es immer noch überraschend – wechselt der/die Beter*in mitten im Satz die Perspektive und guckt nicht mehr von außen, sondern von innen. „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.“
Auf einmal bin ich das Schaf und der, mit dem ich rede, ist der Schäfer, der Hirte. Auf einmal bin ich mitten in meiner Beziehung zu Gott und erzähle von meinem unbedingten Vertrauen. Was soll mir passieren, wenn Gott doch mit mir geht, wenn er bei mir ist, wenn er sich auskennt, wenn er mir den Weg zeigt.
Natürlich fällt mir vieles ein, was mir passieren kann. Es gibt doch trotzdem finstere Zeiten, auch wenn ich fest auf Gott vertraue. Aber das ist doch nichts Neues. Das kennen alle Menschen und selbst die Schafe, die dem Herdentrieb folgen und keine eigenen Wege gehen, müssen da durch. Es ist nicht immer alles golden im Leben.
Aber im Vertrauen auf Gott geht es weiter. Und hinterher denke ich: Mein Leben war und ist doch so erfüllt. So viel Segen habe ich erlebt. Bei Gott will ich immer bleiben. In den Höhen und in den Tiefen meines Lebens.
Vielleicht musste ich mir das von der Schafherde in den Ruhrauen noch einmal erzählen lassen.
Ich habe das Gefühl: Ich brauche mal wieder das Vertrauen dieser Schafe. Muss mich mal wieder ermutigen lassen, damit ich auf die Zukunft setze und Sorgen nicht so viel Raum einnehmen.
Ihr Pfarrerin Claudia Bitter