Was ich mir wünsche:
den Mut der Amsel, die noch im Dunkel den Gesang beginnt,
die Geduld der Spinne, die ihre zerstörten Netze nicht zählt,
das ewige Wort der Krähen und das Schweigen der Fische,
den Fleiß der Holzwespen und die Leichtigkeit ihrer Waben,
den Schlaf der Larven im Boden und den Tanz der Mücken,
die Härte des Eises im Winter, das im Frühlingslicht schmilzt,
die Glut des Holzes, wenn es verbrennt,
den Höhenflug der Asche, die der Wind verweht,
die Unermüdlichkeit des Grases nach jedem Winter neu zu grünen,
das wünsche ich mir.
(nach Rudolf Otto Wiemer)
Netzwerker*in
Es ist die Zeit der Spinnennetze in der goldenen Spätsommersonne. Die Kreuzspinne hat ein grandioses Netz gesponnen. Silbrig glitzern die Spinnenfäden im Licht. Einiges bleibt hängen in dem Netz – kleine und große Insekten. Manche Risse im Netz hat die Spinne schon geflickt. Sie selbst nutzt das Netz, um zur Mitte und dann an die andere Seite zu kriechen, bleibt nicht hängen.
Netzwerker*in ist sie. Eine, die ein Netz spinnt. Mit einem Faden fängt es an. An ihm lässt sie sich vom oberen Zweig hinunter und spannt die erste Verbindung, den ersten Faden, über den sie laufen kann. Und dann geht das so weiter. Faden um Faden wird gesponnen und verknüpft und verwoben, bis das Netz den ganzen Raum ausfüllt und dicht genug ist, um der Jägerin genug Beute zu bescheren. Kleine Tiere können nicht entkommen, haben nicht die Kraft.
Die Spinne traut dem Faden, an dem sie sich runterlässt. Nicht, dass ihr das bewusst wäre – sie kennt es ja nicht anders, als dass ihr Faden hält. Und wenn ein Windstoß daran reißt, ein Riss entsteht, dann fängt sie wieder neu an und spinnt den nächsten Faden. Unermüdlich. Sie braucht ja ihr Netzwerk, um am Leben zu bleiben.
Für mich ist sie ein gutes Vorbild auch für uns Menschen. Netzwerker*innen gibt es ja auch bei uns. Solche, die gute Verbindungen schaffen, die ein gutes soziales Netzwerk haben, die Kontakte schaffen und sie pflegen und erhalten. Ich kann sie nur bewundern. Sie haben immer wieder großes Vertrauen, dass die Fäden stabil genug sind und halten, sind oft unermüdlich.
Auch wir Menschen brauchen unsere dichten und lockeren Netzwerke, unsere großen und kleinen Verbindungen, Kontakte, die uns halten und tragen, Kontakte, auf die wir trauen. Jede und jeder hat dabei unterschiedliche Bedürfnisse. Aber ein Netz, das trägt, wenn ich selbst mich fallen lassen muss, selbst nicht mehr kann, zeigt in kritischen Situationen seine Kraft, ist für alle wertvoll.
Darum wünsche ich mir die „Geduld der Spinne, die ihre zerstörten Netze nicht zählt“ und manche anderen Höchstleistungen, die uns so selten wirklich auffallen. Dazu offene Augen für die Wunder der Natur, die uns vormacht, was wirklich zum Überleben nötig ist.
Und das Vertrauen, dass das Netzwerk hält – und der Faden, der nach oben geht, stark genug ist für das Leben.
Ihre Pfarrerin Claudia Bitter
Dazu einige Verse aus Psalm 84:
Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten
und von Herzen dir nachwandeln!
Wenn sie durchs dürre Tal ziehen,
wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen.
Sie gehen von einer Kraft zur andern und schauen den wahren Gott in Zion.