Das Wort zur Wochenmitte

Denn du gibst mich nicht dem Totenreich preis.
Du lässt mich das Grab noch nicht sehen.
Du zeigst mir den Weg zum Leben.
Große Freude finde ich in deiner Gegenwart
und Glück an deiner Seite für immer.
Psalm 16,10-11

Foto: Adobe Stock – Igor Tichonow

Liebe Leserin, lieber Leser,

in Gottes Nähe erweist sich das Leben um ein Vielfaches stärker als der Tod. Das ist die Aussage des 16. Psalms.

Vor Kurzem besuchte ich einen großen Festgottesdienst in Süddeutschland. Die Kirche war sehr gut gefüllt und alle Besucher waren zur Feier des Tages festlich gekleidet. Der Posaunenchor, die Orgel und der kräftige Gesang der Gemeinde sorgten für eine feierliche und ehrfürchtige Atmosphäre.

Schräg neben mir, ein paar Bänke weiter, sehe ich einen Herrn im Rollstuhl sitzen. Ich kenne den Herrn nicht persönlich, aber ich weiß vom Hörensagen um seine Geschichte: Er ist in seinen Fünfzigern und leidet seit ein paar Jahren an weit fortgeschrittenen Krebs. Von der Seite sehe ich, wie schwach er mittlerweile aussieht. Der Krebs setzt ihm sichtbar zu und er trägt einen Sauerstoffschlauch um den Hals. Trotzdem sitzt er passend zum festlichen Gottesdienst sehr elegant gekleidet neben seiner Frau. Ich freue mich ihn zu sehen: Obwohl er todkrank ist, nimmt er am Festgottesdienst teil, in dem es um die Freude und das Lob geht. 

Wie fast immer in festlichen Gottesdiensten singt die Gemeinde den Choral „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ (EG 316). Weil die Orgel die melodiesichere Gemeinde zusammen mit dem Posaunenchor begleitet, ergibt sich ein erhabener Gesamtklang in der großen Kirche. Ich frage mich, wie der Herr sich wohl gerade fühlt und schiele zu ihm herüber. Als wir die Zeilen singen: „In wieviel Not / hat nicht der gnädige Gott / über dir Flügel gebreitet!“, drückt er die Hand seiner Frau ganz fest und beide schauen sich liebevoll an.

In der Predigt spricht der Pfarrer anschließend über die Nähe Gottes im Psalm 16.

Der kleine Moment des tiefen Gottvertrauens, der Zuversicht und des Trotzes gegen den Tod, der aus dem Blick des Herrn spricht, ist mir an diesem Sonntag aber wertvoller als jede Predigt. In diesem kurzen Moment füllt sich die Aussage von Psalm 16 mit Leben: Obwohl der Herr weiß, dass er bald stirbt, ist er Gott in diesem Moment näher als seinem Tod. Er scheint sich in den Gesang der Gemeinde fallen zu lassen. Und die Gemeinde fängt ihn mit ihrem Gesang auf – trotz allem. 

„In wieviel Not / hat nicht der gnädige Gott / über dir Flügel gebreitet!“ 

Ich wünsche Ihnen für diese Woche genau dieses Vertrauen auf Gottes Nähe, die stärker ist als der Tod.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr Jannis Graf