Lädi_rt
Ich bin lädiert. Das Messer war beim Messerschleifer und ist entsprechend scharf geworden. Beim Zwiebelschneiden hat es dann meinen Mittelfinger erwischt. Und jetzt ist es mühsam z.B. alle Buchstaben zu schreiben. Das E, das D, das C – sie kommen immer zusammen mit den Nachbarn heraus, sind dann re, df, cv. Und müssen wieder korrigiert werden.
Nicht nur beim Texte-Schreiben ist es nervig.

Händewaschen, Haarewaschen, Duschen – sind auch ein trauriges Kapitel zurzeit. Und manchem Handgriff im Haushalt fehlt die Routine. Ein Trost ist: Wenigstens hat es nicht die rechte Hand getroffen – das wäre schlimmer.
Natürlich bin ich ein klein wenig wehleidig. Ein bisschen möchte ich bedauert werden, und sei es nur, weil ich mich über mein eigenes Ungeschick so ärgere.
Kurz: Ich bin lädiert. Aber nicht krank, nicht verletzt. Und zum Arzt muss ich damit wohl auch nicht. In der Apotheke habe ich mich jetzt erst mal neu eingedeckt mit Utensilien rund um die Wundversorgung.
Und eigentlich geht es mir doch immer noch gut. Eigentlich.
Die kleinen und großen Katastrophen im Alltag – wie ich damit umgehe, hängt von meiner Prägung, meiner Persönlichkeit ab. Manche neigen zum Drama, manche können vieles einfach so wegstecken, und von vielen Älteren höre ich: „Ich will doch nicht zur Last fallen.“
Mich regt ein Hoffnungsgedanke von Paulus zum Nachdenken an:
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.
Römerbrief 8,28
Diese Erkenntnis hat Paulus nicht im Rückblick, nicht nachdem alles wieder heil geworden ist. Sondern er hat diese Hoffnung mitten im Lebensärger, mitten im Angegriffen Werden, mitten in der Ungewissheit, ob alles besser wird.
Und ich möchte nachfragen: Alle Dinge können mir zum Besten dienen, wenn ich Gott liebe? Auch das, was gar nicht rund läuft, auch das, wo ich so viel Geduld haben muss, sogar mehr als jetzt mit meinem lädierten Finger? Wer kann das schon sagen, wenn das Leben so richtig durcheinander gerät und man gar nicht mehr weiter weiß. Alle Dinge sollen zum Besten dienen???
Für mich heißt das: In allen Situationen meines Lebens ist da einer, mit dem ich das Ganze einmal durchgehen kann – den ganzen Ärger, die ganzen Sorgen, auch meine Nöte und Ängste. Und indem ich das mit Gott bespreche, verändert sich meine Sicht darauf. Ich gewinne Abstand dazu.
Vielleicht nehme ich diese kleine Unregelmäßigkeit in meinem Leben so wie sie ist. Vielleicht gelingt mir, mich selbst zu reflektieren, achtsamer zu werden, konzentrierter, und das nicht nur beim Zwiebelschneiden (auch wenn ich daran schon seit ungefähr 58 Jahren arbeite – nicht nur beim Zwiebelschneiden). Das würde mir vielleicht wirklich zum Besseren dienen. Und vielleicht kann ich auch bei anderen, schwerwiegenderen Dingen und Verletzungen mich zurücknehmen, Abstand gewinnen und so auch das Unangenehme, oder Tragische, oder Traurige annehmen, wie es ist. Das Leben läuft nicht nur glatt. Das anzunehmen ist eine Lebensaufgabe.
Das Danke-Lied bringt es auf den Punkt:
Danke für manche Traurigkeiten, danke für jedes gutes Wort, danke, dass deine Hand mich leiten will an jedem Ort.
Ihre Pfarrerin Claudia Bitter