Das Wort zur Wochenmitte

#Rechnung

„Zahlen bitte!“, rufe ich. Es war lecker, es war reichlich, es hat geschmeckt. Die Einkehr hat gelohnt, die Bedienung war freundlich, die Torte hat gehalten, was sie verspricht – „Kein Kuchen ist auch keine Lösung!“, steht über der Kuchentheke. „Stimmt!“, denke ich. Und am Ende kommt die Rechnung. Der Betrag war zu erwarten und ich lege noch ein bisschen obendrauf, weil alles so stimmig war und rund, weil ich die Arbeit anerkenne, weil ich gerne großzügig bin, überhaupt im Urlaub, und weil ich mich freue, dass dieses Café an der Fahrradstrecke lag und eine Rast dort möglich war, der kleinen Schlange vor der Tür zum Trotz. „Zahlen bitte!“

Wenn ich Essen gehe oder nur einen Cappuccino im Straßencafé trinke, dann kommt am Ende die Rechnung. Und ich zahle, was ich genossen habe und ein bisschen mehr.

Und sonst. Zahle ich für das, was ich genieße? Den Wind im Haar, wenn das Rad immer schneller bergab rollt, das milde, warme Abendlicht mit den langen Schatten jetzt im September, den Duft der Rosen, die immer noch blühen, die bunte Welt der Beeren und Früchte, die der Spätsommer bringt. Eigentlich war es doch ein schöner Sommer. Ich sage eigentlich – weil ich um die Kehrseite weiß. Es gab auch so manche Einschränkung. Nicht nur die Pandemie, sondern auch so manche andere Last, manches, was traurig macht oder verunsichert, manches, was Geduld erfordert, manches wo wir als Menschheit an unsere Grenzen kommen oder auch über unsere Grenzen hinaus gehen und immer mehr wollen. Ich weiß um die Kehrseite. Darum war es eigentlich ein schöner Sommer.

Aber Schönes gab es eben auch. Unbezahlbar schön. Dafür muss ich nicht zahlen, kann ich nicht zahlen. Das ist geschenkt. Ich denke: Von Gott.

Was im Vordergrund steht, kann ich nicht sagen und frage mich: Kann beides nicht nebeneinander stehen? Das Schöne und die Schattenseite? Die Freude und die Sorge? Muss ich das gegeneinander aufrechnen? Ist das Schöne nicht trotzdem schön, auch wenn wir alle in diesem Sommer so viele Einschränkungen hinnehmen mussten?

In den Psalmen heißt es:
Lobe den HERRN, meine Seele! Und vergiss nicht das Gute, das er für dich getan hat! (Psalm 103,2)

Gerade wenn ich die Schattenseite des Lebens erfahre, tut es meiner Seele gut, an das Gute erinnern zu werden. Und das ist unbezahlbar.

Ihre Pfarrerin Claudia Bitter

Dazu ein Gedicht von Lothar Zenetti:

Einmal wird uns gewiß die Rechnung präsentiert

für den Sonnenschein
und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen
und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
den Vogelflug und das Gras
und die Schmetterlinge,
für die Luft, die wir
geatmet haben, und den
Blick auf die Sterne
und für all die Tage,
die Abende und die Nächte.

Einmal wird es Zeit,
dass wir aufbrechen und
bezahlen;
bitte die Rechnung.

Doch wir haben sie
ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht,
soweit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen!

Lothar Zenetti