Das Wort zur Wochenmitte

Liebe Leserin,
lieber Leser!

Der irische Mönch Columban, der vor mehr als 1500 Jahren das erste schottische Kloster auf der kleinen Insel Iona gründete, war ein wahrer Liebhaber der Natur. Er hatte große Hochachtung vor allem Leben und fand immer wieder inneren Frieden, wenn er nahe dem Kloster an die Felsen gelehnt saß und gen Westen auf das Meer hinausblickte. Von ihm ist folgendes Gebet überliefert:

Gott, du bist meine Insel.
In deinem Schoß bin ich geborgen.
Du bist die Ruhe im Sturm.
In diesem Frieden kann ich ruhen.
Du bist in den Wellen, die auf die Küste rollen
und die Steine zum Glitzern bringen.
Dieses Meeresrauschen ist meine Hymne.
Du bist das Lied der Vögel.
Ihre Melodie singe ich.
Du bist die See, die gewaltig auf den Felsen prallt.
Ich preise dich in deiner Kraft.
Du bist der Ozean, der mein Wesen wie das Wasser umspielt.
In dir verweile ich.

Columban hatte eine Gabe. Er konnte tiefer sehen als viele andere. Andere erleben nur einen Sturm. Columban fühlte Gott darin. Andere genießen die Wellen des Meeres. Columban hörte Gott in ihnen sprechen. Andere hören die Vögel singen. Columban hörte Gottes eigenes Lied.

Columban konnte tiefer sehen. Diese Gabe wünsche ich uns auch. Wir können sie entwickeln. Wir können lernen, hinter die Oberfläche zu sehen. Durch den Alltagsschleier hindurch. Dann können wir – wie Columban – Gott neu und anders erkennen. Dann kommt er uns näher. Dann können wir fühlen: Du bist die Ruhe im Sturm, Gott. Und in dieser Ruhe kann ich mich bergen. Du bist das Lied der Vögel, Gott. Es spricht zu mir von der Schönheit des Lebens. Du bist meine Insel, Gott. In deinem Schoß bin ich geborgen, und nichts kann mir geschehen. Denn du umfängst und behütest mich.

Natürlich war Columban auch ein guter Theologe. Er kannte seine Bibel. Und aus diesem Studium heraus stellte er fest:

Wenn wir den Schöpfer erkennen wollen,
müssen wir seine Geschöpfe kennen lernen.

So hatte er es im alttestamentlichen Buch der Weisheit gelesen:

Es wird an der Größe und Schönheit der Geschöpfe
ihr Schöpfer wie in einem Spiegel erkannt. (13,5)

Nehmen wir das ernst, und Gott rückt uns wieder viel näher. Wir erkennen ihn neu in all seinen Geschöpfen. Die Welt wird bunter und schöner für uns, lebendiger und schutzbedürftiger. Denn nun können wir manches nicht mehr tolerieren, bei anderem nicht mehr wegschauen: Klimanotstand, Massentierhaltung, Massensterben und Plastikmüll in den Meeren, u.s.w. Und wir werden wieder die Menschen, die Pflegekräfte und Bewahrenden der Schöpfung, die wir von Anfang an sein sollten. Heißt es doch schon zu Beginn der Bibel:

Und Gott der Herr nahm den Menschen
und setzte ihn in den Garten Eden,
dass er ihn bebaute und bewahrte. (Gen 2,15) 

In Columbans Sinne wünsche ich Ihnen offene und liebevolle Augen mit Tiefenschärfe; Ohren, die hören können, was Gott uns sagt; und einen Willen, verantwortungsbewusste Menschen zu sein mit Liebe im Herzen.

Ihr Tom Damm