Neulich auf dem Ruhrtalradweg in Richtung Geisecke. Da, wo sich der Teerweg für eine kurze Strecke gabelt, muss ich spontan anhalten. Ich kann kaum glauben, was ich dort sehe: Störche. Viele Störche. Sehr viele Störche. Vielleicht 60. Vielleicht mehr. Sie alle stelzen über das frisch gemähte Feld und suchen nach Nahrung. Nach Würmern, nach Mäusen, nach Heuschrecken. Sie kommen von überall her, diese Störche. Sie versammeln sich, um allmählich in den Süden zu fliegen. Ich stehe da und schaue mir diese Naturschauspiel staunend an. Ich frage mich: Woher wissen all diese Störche, dass sie sich genau an diesem Ort versammeln sollen? Woher wissen die Störche seit Urzeiten her den langen Weg nach Afrika? Ein Phänomen. Eine Tatsache, die noch nicht endgültig erforscht ist. Ein Wunder.
Ein Bibelwort kommt mir in den Sinn. Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? (Matthäus 6,26). Ich bin kostbarer als dieser wunderschöne, kluge Vogel. Diese Worte muss ich mir auf der Zunge zergehen lassen. Auch wenn ich viel weiß, ich komme mir dümmer vor als diese lebenden Navigationsgenies. Ich komme ins Nachdenken: was ist in meinen Augen kostbar? Goldmünzen? Edelsteine? Ein schickes Auto? Hochwertige Kleidung? Alles Äußerlichkeiten. Ich bin kostbar. Weil Gott mich versorgt wie er die Vögel unter dem Himmel versorgt. Und die anderen Menschen sind wie ich. Alle anderen Menschen. Auch die aus einem fernen Land. Auch die, die mir auf die Nerven gehen. Auch die, die nicht meiner Meinung sind. Auch die, die ich nicht leiden kann. Sie sind alle kostbar. Ich bin kostbar, selbst wenn ich keine Goldmünzen und keine Edelsteine und keine hochwertigen Klamotten habe. Ich bin kostbar, auch wenn ich das von mir selber nicht sagen würde. Ich bin kostbar. Selbst wenn ich krank und schwach wäre. Ich bin kostbar, selbst wenn ich im Sterben liegen würde. Ich bin kostbar, weil Gott mich als kostbar ansieht. Was für ein bewegender Moment, dort an der Ruhrwiese, mit den vielen Störchen direkt vor mir. Ein geschenkter Moment. Ein Atemzug Gottes auf meiner Haut.
Du, Gott, lässest Brunnen quellen in den Tälern, dass sie zwischen den Bergen dahinfließen, dass alle Tiere des Feldes trinken und die Wildesel ihren Durst löschen. Darüber sitzen die Vögel des Himmels und singen in den Zweigen. Du tränkst die Berge von oben her, du machst das Land voll Früchte, die du schaffest. Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst, dass der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz glänze vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke. Die Bäume des HERRN stehen voll Saft, die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat. Dort nisten die Vögel, und die Störche wohnen in den Wipfeln (Psalm 104,10-17).
Ihr Hartmut Görler