Liebe Leserin, lieber Leser,
Am 8. Mai 1945, heute vor 76 Jahren, wurde in Berlin die Urkunde der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht und des Deutschen Reiches unterzeichnet. Damit war – zumindest in Europa – der 2. Weltkrieg offiziell beendet.
Es begann die „Stunde null“, es folgten Aufbaujahre und „Wirtschaftswunder“.
Heute erscheinen diese Zeilen sicherlich vielen als Bericht aus einer völlig anderen Welt.
Und doch: Es war unsere Welt, die damals kurz vor dem Untergang stand.
Nur noch wenige unter uns haben diese Zeit miterlebt.
In meiner Kindheit war das anders. Hinter vorgehaltener Hand wurde über diesen und jenen geredet, der „in der Partei“ oder „ein ganz scharfer Hund“ war, bei dem man aufpassen musste, was man sagte.
Es hat rund 40 Jahre gedauert, bis in meiner Heimatstadt eine Schulklasse in einem Geschichtsprojekt aufzeigte, welche Häuser vor 1933 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern gehört hatten.
In meiner Anfangszeit als Pfarrer hörte ich bei Hausbesuchen noch oft Geschichten von Krieg, Luftschutzkellern, Vertreibung und Flucht.
Ich habe die Jahre vor 1945 nicht erlebt, bin nach dem Krieg geboren – und doch hat diese Zeit Spuren in meiner Familie, in meinem Leben hinterlassen.
Vergangenheit prägt Zukunft. Im besten Fall macht sie uns zu „besseren“ Menschen.
Eigentlich bin ich optimistisch, was unser Land betrifft. Ich denke, auch wenn es zwischendurch immer mal wieder „hakte“, so haben wir doch aus der Vergangenheit gelernt.
Manchmal mache ich mir allerdings auch Sorgen: Wenn ich zum Beispiel von wachsenden antisemitischen Übergriffen höre oder von – oft unbedachten, manchmal aber auch kalkulierten – Tabubrüchen sprachlicher oder symbolischer Art, dann spüre ich den kalten Hauch einer lebensfeindlichen Vergangenheit.
Bleiben wir sensibel, gerade auch deshalb, weil es heute viel einfacher als früher ist, Unheil zu säen!
Vergessen wir nicht die bösen Zeiten, auch wenn sie lange vergangen sind: Die Erinnerung kann uns lehren, was wir an der Gegenwart Gutes haben.
Ihr Klaus Johanning