Das Wort zum Tag

Glaube und Fantasy-Literatur 

Liebe Leserinnen und Leser, 

ich bin ein leidenschaftlicher Fan von Fantasy-Literatur. Ich habe zahlreiche Bücher dieses Genres gelesen oder als Hörbuch gehört, von Harry Potter, über EragonDie Tribute von Panem, Der Name des Windes, bis hin zu Game of Thrones und den Werken von Walter Moers, die in der zauberhaften Welt Zamonien spielen. 

Ich liebe dieses Genre. Die neuen Welten, die die Autoren und Autorinnen schaffen, verzaubern mich und ziehen mich in ihren Bann. Sie lassen faszinierende Bilder von den Personen, zauberhaften Wesen und geheimnisvollen Orten in meinem Kopf entstehen. Ich fiebere mit den Helden mit, die sich auf Reisen begeben, in Gefahren geraten, an ihre Grenzen kommen, Liebe finden und sogar ihr Leben für den Kampf gegen das Böse riskieren. Oft geht es um nichts Geringeres als um die Rettung der Welt. 

In vielen Fantasy-Büchern ist die Welt herrlich schwarz-weiß. Gut und Böse lassen sich oft klar trennen, wenn auch die Bösen vielleicht nicht schon immer böse waren, sondern irgendwann auf Abwege geraten sind, dann aber die ganze Welt bedrohen. Gerade in der komplexen Wirklichkeit tut es mir auch mal gut mich in diese Welten fallenzulassen, in denen die Helden klare Ziele vor Augen haben, im Kampf gegen Antagonisten wie Lord Voldemort, Sauron, Galbatorix oder die weißen Wanderer. 

Fast erinnern solche Gestalten schon an den Satan, von dem in der Bibel die Rede ist: Dem gefallenen Engel, der die Menschen mit Hass, Eifersucht und Habgier vergiftet und die Welt als ganze damit bedroht. Zuletzt (Vorsicht: Spoiler-Alarm) soll die Bedrohung durch den Satan ganz offenbar werden und der Satan im Kampf gegen Gott fallen. So erzählt es das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung. Am Ende der Bibel steht also die Verheißung auf ein Happy End. 

Natürlich ist die Bibel mehr als ein Fantasy-Buch. So viele Menschen haben über einen langen Zeitraum an ihr mitgeschrieben. Sie enthält Geschichtsbücher mit Deutungen von Gott, aber auch Dichtungen, Gleichnisse, Sprichwörter und vieles mehr. 

Was ich in Fantasy-Literatur immer etwas befremdlich finde ist das Thema Religion. Bei Harry Potter wird zwar selbstverständlich Weihnachten gefeiert, aber ohne, dass christliche Inhalte vorkommen. Vielmehr scheint die Kirche mit der Realität der Zauberer wenig zu tun zu haben. Als Harry und Hermine im letzten Band am Heiligen Abend beobachten, wie nicht-magische Menschen in eine Kirche gehen, kommt ihnen das mitten in ihren Bemühungen gegen Lord Voldemort befremdlich vor. Trost und Kraft schöpfen sie nicht aus dem Glauben. 

George R. R. Martin hingegen erfindet in Game of Thrones eine ganz eigene Welt mit vielen unterschiedlichen Götterfiguren, u. A. den sieben Neuen und vielen Alten Göttern. Aber zumindest scheint der Glaube, wenn auch alle an unterschiedliche Götter glauben, vielen Menschen hier Kraft und Halt in der schweren Zeit des anbrechenden Winters zu geben. 

Autoren wie C. S. Lewis, die christlich-theologische Themen in ihrer Fantasy-Welt verarbeiten, stellen eher eine Ausnahme dar. So opfert sich der Löwe Aslan, der König von Narnia, auf einem Steinaltar für den Jungen Edward, den eigentlich wegen seines Verrates diese Strafe hätte treffen sollen. Aslan kehrt dann von den Toten zurück. C.S. Lewis gibt hier eine imaginative Antwort auf die Frage: „Wie würde Christus sich zeigen, wenn es wirklich eine Welt wie Narnia gäbe und er beschlösse, in jener Welt Fleisch zu werden, zu sterben und wieder aufzuerstehen, wie er es in unserer Welt tatsächlich getan hat.“ Auch die anderen Narnia-Bücher behandeln christliche Themen wie die Schöpfung, Nachfolge und das Weltende und regen zum Nachdenken an, ohne den Fantasy-Rahmen zu sprengen.

Häufiger jedoch wird im Fantasy-Genre Religionen, den jeweiligen Priestern oder religiösen Institutionen kritisch begegnet, ich frage mich, ob das wohl daran liegt, dass die Fantasy-Autoren und Autorinnen möglicherweise keine Christinnen und Christen und religionskritisch eingestellt sind, oder ob der Glaube an den christlichen Gott nicht in ihre Welt passt? 

Ich finde es manchmal schade, dass mein Glaube, der mir so wichtig ist, so wenig mit meinem Hobby zusammenzupassen scheint. Ich erinnere mich noch, dass eine frühere Mitschülerin von mir die Harry Potter Bücher nicht lesen durfte. Sie seien nicht gut, denn sie widersprächen dem christlichen Weltbild. Zum Glück haben meine Pastoreneltern die Situation anders beurteilt und mir den Zugang zur Fantasy-Welt, nicht verstellt. 

Auch wenn ich es manchmal schade finde, wie im Fantasy-Genre mit dem Thema Religion umgegangen wird, so begrüße ich in jeder Hinsicht den Einfallsreichtum und die Kreativität, mit der die Autorinnen und Autoren Welten und Geschichten entstehen lassen, die uns berühren, bewegen, begeistern und mitfiebern lassen. Darin sehe ich ein Geschenk Gottes, denn Gott hat uns die Fantasie geschenkt, uns etwas auszudenken, etwas Neues entstehen zu lassen. 

Der Literaturwissenschaftler Matthias Hurst hat das meiner Meinung nach sehr treffend formuliert:

„In der Fantasy sehen wir einen Akt der Kreativität, der Schöpfung, Tolkien sagt auch: fantasy is a human right, das ist quasi ein Menschenrecht, dass wir Fantasie und Imagination benutzen, weil wir selbst geschaffen wurden und weil wir eine kreative Spezies sind.“

Amen. 

Ihre Anthea Haacke