Das Wort zum Tag

Am vergangenen Sonntag. Mindestens 58 Erwachsene und Kinder feiern Familiengottesdienst im Johanneshaus. Besser gesagt: sie gehen den Familiengottesdienst; denn der Familiengottesdienst ist als Stationslauf zum Vater Unser aufgebaut. Corona-Not macht erfinderisch. Im Windfang bauen die Kinder mit Playmobilfiguren die Bergpredigt nach. Wo sonst die Kleiderständer stehen, lädt jetzt ein Gebetszelt zum Verweilen ein. Und zum Zur-Ruhe-Kommen. Im Foyer betrachten die Gäste eine kleine Ausstellung von großen Künstlern: die Kindergottesdienstkinder hatten im Vorfeld Bilder zu den einzelnen Bitten des Vater Unsers gemalt. Weiter geht der spirituelle Spaziergang. In dem Raum „Himmel und Erde“ dürfen die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher Hand anlegen. Sie dürfen in einem Sandkasten voller Erde Frühlingsblumen pflanzen und mit Krepppapier einen Regenbogen kleben Weiter geht es auf der Einbahnstraße im Johanneshaus: im Nebenraum leuchten eine rote und eine schwarze Tuchwand. „Schuld und Vergebung“ heißt der Raum. Die Gäste legen Steine ab, als Zeichen für das Schwere im Leben. Schafi und Wolli, zwei Schafe, die die Gottesdienstgäste auf einem Laufzettel begleiten, führen Jung und Alt jetzt zu einer Videoleinwand. Hier werden sie eingeladen mitzusingen. Vater Unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Wenige Schritte weiter kann das Vater Unser gesprochen werden. Oder getanzt. Mit Bewegungen. Am Ausgang wollen ein Schlüsselanhänger und ein Segensspruch mit nach Hause genommen werden. Der Stationslauf ist vorbei. 20 Minuten mit Gott. Eine nachdenkliche fröhliche Zeit. So sollte Gottesdienst sein. 

Für mich ist dieser Stationslauf ein Sinnbild, ein Sinnbild für das Leben. Nicht nur im Johanneshaus sind wir unterwegs, von Station zu Station. Auch im Leben geht es immer weiter. Zur nächsten Station. In den nächsten Raum. Kreative und nachdenkliche Phasen lösen sich ab, farbenfrohe und schwermütige Wegstrecken. Eben noch unter dem Regenbogen getanzt, und jetzt Schuld und Vergebung, Last und Schwere. Weiter auf demselben Lebensweg gibt es Zeiten, da ist uns zum Singen zumute. Zum Glück treffen wir hin und wieder auch auf Segensworte, die uns Mut machen für den weiteren Weg. Manchmal geht das Leben dann scheinbar wieder von vorne los. Wie im Kreis. 

Was für ein Geschenk, wenn ich den Stationslauf des Lebens nicht alleine gehen muss. Eine Freundin an meiner Seite oder ein Freund. Meine Partnerin, mein Partner. Vielleicht sogar mit Kindern, mit den eigenen oder geliehenen. Aber auch wenn ich allein bin, werde ich in meinem Leben unterschiedliche Stationen entdecken. Von einem Raum in den nächsten. Und irgendwann und irgendwo höre ich, dass auch ich nicht alleine unterwegs bin. In einem Korb liegt eine Segenskarte. Ich greife zu. Ich lese sie mir vor: Gott ist wie ein Vater für dich, der dich liebt und tröstet. Gott ist wie eine Mutter für dich, die dich liebt und in den Arm nimmt. Das Leben. Ein Stationslauf. Und Gott geht mit. 

Ihr Hartmut Görler