Das Wort zum Tag

Mittwoch, 08. April 2020

Das Kreuz – ein Trost

Das Kreuz – aus frischen Holz geschlagen, im rechten Winkel der Balken – so liegt es hinter der Villigster Kirche im Gras. In dieser Woche vor Karfreitag, der Karwoche. 

Das Kreuz – es steht für eine brutale Form der Hinrichtung. Jesus von Nazareth wurde am Kreuz hingerichtet. Darauf schauen wir als Christ*innen. 

Menschen, die es damals miterlebt haben, erzählen übereinstimmend, dass es um Jesus zuletzt immer einsamer geworden ist. 

Zuerst sind da viele Menschen, die ihn bejubeln. Mit seiner Predigt trifft Jesus bei ihnen den Nerv. „Ja – an den Gott wollen wir glauben!“, jubelt die Menge.

Aber dann hören sie: Glaube hat Konsequenzen, Liebe hat Konsequenzen. Man kann nicht nur über die Liebe reden, aber dabei nur die Liebe zu sich selbst meinen. Da wird es den Menschen zu ernst. So ernst hatten sie ihren Jubel nicht gemeint. Viele wenden sich ab.

Beste Freundinnen und Freunde bleiben bei Jesus. Sie befürchten das Schlimmste. Aber sie bleiben. Ihre Gemeinschaft trägt sie, trägt auch Jesus. Ein Abendessen wird bedeutungsvoll. Gemeinsam sitzen sie am Tisch. Es wird viel geredet, viel erzählt. Jesus lässt sie aber auch begreifen: Selbst durch diese verschworene Gemeinschaft wird ein Riss gehen. Der Verräter ist unter ihnen. Und mancher wirkt zwar stark und mutig, aber wenn’s drauf ankommt, holt auch ihn die Angst ein. Gemeinschaft braucht Versöhnung. Dann teilen sie das Brot, teilen den Wein und spüren: Darin steckt etwas von Jesus selbst. Jesus sagt: Wenn ihr so das Brot und den Wein teilt, dann denkt an mich und die Gemeinschaft, die wir heute haben. Das wird euch immer wieder zusammenführen und mit mir verbinden, immer wieder versöhnen. 

Später zieht Jesus sich heraus. Er sucht die Stille, das Gebet. Engste Freunde begleiten ihn. Jesus wünscht sich, dass sie jetzt in Gedanken und im Gebet mit ihm verbunden sind. „Bleibt hier. Wacht mit mir. Wacht und betet“, sagt er zu ihnen. Er will mit sich und mit Gott allein sein – aber nicht einsam. ER braucht sie, gerade jetzt. Doch die Jünger schlafen ein.  Ja, es wird immer einsamer um Jesus.

Was dann kommt? Jesus wird von Judas gestellt, von den Soldaten gefangen genommen, von Pilatus verurteilt, von den Wachen gefoltert und hingerichtet. Ganz einsam und verlassen. Die Freunde trauen sich nicht, sind fern von ihm, haben Angst. Jesus fühlt sich in seiner Not sogar von Gott verlassen. Erst mit dem letzten Atemzug kommt aus dem Glauben Trost. „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ „Es ist vollbracht!“ So werden seine letzten Worte weitergegeben.  

Am Karfreitag wird das Kreuz vor der Kirche liegen. Wer daran vorbeigeht, soll sich erinnern an Jesus und sein Kreuz. Er hat die Nöte und die Einsamkeit erlebt und erlitten. Darum kann er unsere Nöte und unsere Einsamkeit begreifen, nachfühlen. 

Ich nehme einen Stein in die Hand und lege ihn auf das Kreuz. Dabei denke ich an die vielen, die jetzt im Altenheim keinen Besuch von der Familie bekommen und gar nicht wissen, was denn los ist. Sie sind ja dement. Gott, sei bei ihnen. 

Ich nehme einen zweiten Stein in die Hand und denke an die vielen, die jetzt im Krankenhaus liegen und nur Menschen verhüllt und mit Maske um sich haben, gar nicht wissen, wie es weitergehen soll und ob es überhaupt weitergeht. Gott, sei bei ihnen.

Ich nehme noch einen Stein in die Hand und denke an die vielen, auf deren Schultern jetzt alles liegt – alles – im Krankenhaus, im Altenheim, in den Kitas, in den Supermärkten, in der Regierung. Gott, sei bei ihnen.

Ich nehme einen weiteren Stein in die Hand und denke an die Familien zuhause, die ihre Verwandten und Freunde nicht besuchen sollen und dürfen, aber Sehnsucht haben nach der Gemeinschaft. Gott, sei bei uns.

Ich nehme einen neuen Stein in die Hand und denke an Menschen in unserer Gemeinde, die in den Gruppen und in der Gottesdienstgemeinde zuhause sind und jetzt die anderen vermissen. Gott, sei bei uns.

Ich nehme einen anderen Stein in die Hand und denke an die Menschen, die in so vielen Ländern der Welt schwer erkranken und ganz ohne medizinische Hilfe sind. Gott, sei bei ihnen.

So nehme ich Steine in die Hand und lege sie auf das Kreuz.  Ich weiß, dass Jesus die Einsamkeit nachfühlt, dass er jetzt bei den Einsamen ist. Für sie alle und auch für mich selbst will ich um Trost beten. 

In dieser Zeit der Epidemie und der Vereinzelung spüre ich: 
Sein Kreuz steht für den Trost der Einsamen und Verlassenen.

Ihre Pfarrerin Claudia Bitter 



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